Mein Beruf & ich
Es herrscht eisige Kälte Anfang Januar 1993, die Gebirgslandschaft ringsum versinkt im Schnee. Wir sind eine Gruppe von vier Geigenbauern, die die gerade vom Förster gefällten Fichten begutachten. Zu dieser Jahreszeit haben die Bäume ihren Saft am weitesten aus dem Holz zurückgezogen, es trocknet dadurch wesentlich schneller, ist leichter und klingt deswegen am Ende des Reifungsprozesses deutlich besser. Ein Zusammenhang, der früher zum Allgemeinwissen eines Bergbauern gehörte. Holzhändler schlagen ihre Bäume heutzutage fast immer im Sommer – ohne Schnee gelangt man mit schwerem Gerät einfacher in die alpinen Wälder. Daher stand unser Entschluss fest: im Januar muß es sein, wenn es draußen am ungemütlichsten ist!
Wir schuften wie die Pferde, das Abschälen von Rinde und Bast von den gefrorenen Stämmen ist echte Knochenarbeit, die Kettensäge heult ohne Pause beim Ablängen der Stammstücke. Diese werden dann mit Keilen und schweren Vorschlaghämmern gespalten, damit die Deckenrohlinge unbedingt dem Faserverlauf folgen. Am Abend können wir uns kaum noch auf den Beinen halten, jeder Muskel schmerzt. Aber die Augen leuchten, wir fühlen uns wie Goldsucher, die auf eine Ader gestoßen sind. Wir haben es gefunden – unser Gold! Holz, dass man so nicht kaufen kann, in großer Menge – ein Traum erfüllt sich!
Ein Herbstnachmittag am Flußufer, eine abgelegene Stelle. Zu meinen Füßen faucht der Gaskocher, in einem Becherglas blubbert träge eine dunkle Masse aus Harz und Öl, aus der süßlicher Rauch aufsteigt. Es ist kalt, ein feiner Nieselregen fällt und ich fühle mich wohl, ich koche gerade meinen eigenen Lack. Ich halte das Glas ins Licht, prüfe Farbe und Konsistenz: der Lack braucht noch eine weitere Stunde Hitze, bis er genau so ist, wie ich ihn haben will. Die Kunst dabei ist, einen polychromen Lack herzustellen, wie ihn seinerzeit der inzwischen verstorbene Experte für alte italienische Instrumente, René Morel, bezeichnete. Ein Lack, der seine Farbe mit der Dicke seiner aufgetragenen Schichten verändert. Und dabei durch seine perfekte Balance aus Elastizität und Festigkeit für das gewisse Etwas im Klang sorgt.
Sobald der Bogen auf die Saite gesetzt ist, füllt sich der ganze Raum mit Klang. In meinen Händen halte ich ein Meisterwerk mailändischer Geigenbaukunst aus dem 18. Jahrhundert, ein Instrument des jüngeren der beiden Testore Söhne. Das Cello ist für einen international bekannten Solisten bestimmt, es muß klanglich höchsten Ansprüchen genügen. Die A- Saite hat jetzt schon diese Mischung aus Brillianz und farbenreicher Wärme, die bei Kennern für Gänsehaut sorgt. Aber die Resonanz in den hohen Lagen ist noch nicht perfekt, ich korrigiere eine Nuance des Stimmstockabstands zum Steg: Ah! Aber die C Saite ist noch zu verhalten, es fehlt die Knurrigkeit im Klang und die Leichtigkeit der Ansprache, also mehr Spannung auf den Stimmstock. Eine winzige Bewegung: jetzt! Die beiden mittleren Saiten sind aber jetzt im Vergleich zu ihren beiden benachbarten eine Idee zu nasal. Ich bearbeite den Steg mit einem skalpellscharfen Messer, winzige Späne werden an entscheidenden Stellen entfernt. Schnitt – spielen. Schnitt- spielen. Hören. In den Bogen hineinfühlen. Ich sitze auf der Vorderkante des Stuhls, vergesse beinahe zu atmen. Bin ganz versunken, fokussiert aufs Hören und Fühlen, auf Klang und Ansprache des Instruments. Eineinhalb Stunden später, ich bin naß geschwitzt und zufrieden: die Gewissheit, dass das klangliche Optimum dieses Instruments erreicht ist!
Drei von unendlich vielen Episoden aus meinem Leben als Geigenbauer: für mich kann es keinen schöneren Beruf geben!
Begonnen hatte alles 1985 mit dem Eintritt in die Geigenbauschule in Mittenwald. Nachdem ich dort meine Ausbildung 1988 beendet hatte, machte ich mich auf den Weg, um möglichst viel von und bei anderen Geigenbauern zu lernen. Als dieser Weg im Jahr 2002 mit der Eröffnung meiner eigenen Werkstatt in Köln an seinen Schlußpunkt kam, hatte ich in acht verschiedenen Werkstätten gearbeitet, war kreuz und quer durch Deutschland, nach Amsterdam, aber auch um die halbe Erde bis nach Südamerika gekommen. Ich hatte anderen bei den beiden mir so wichtigen Schwerpunkten Restaurierung von alten Meisterwerken und Neubau klanglich höchst anspruchsvoller Instrumente über die Schulter schauen dürfen, hatte von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung, ihrem Einfallsreichtum und ihrer Kreativität profitieren können.